Bald keine*r mehr da?!

04.03.2021
1/2021

Pflegefachleute sind die verkörperte Resilienz in unserer Gesundheitsversorgung. In unseren alternden Gesellschaften gibt es immer mehr Leute, die nicht geheilt werden können. Sie müssen mit ihren Krankheiten leben. Oft geht es da auch um anscheinend Banales: Pflegefachleute nennen sie die «Aktivitäten des täglichen Lebens»: Essen, Trinken, Schlafen, Bewegen, Sozialkontakte. Selbst der Toilettengang gehört dazu.

Lauter Dinge, die für uns Menschen immens wichtig sind, was wir aber erst merken, wenn sie nicht mehr so einfach funktionieren oder eingeschränkt sind. Nicht umsonst basieren viele effiziente Bestrafungs- und Foltermethoden darauf, Menschen diese Aktivitäten vorzuenthalten. Wenn die Aktivitäten des Lebens eingeschränkt sind, braucht es sehr viel Resilienz, um nicht verrückt zu werden oder zu verzweifeln.

Auch in unserer Fachzeitschrift «Krankenpflege» publizieren wir Artikel zu diesem Thema, meist mit Fokus darauf, was Pflegende tun könnten, um ihre eigene Resilienz zu stärken. Das ist nötig: Ihre berufliche Belastung ist immens. Es braucht viel Resilienz, wenn man praktisch nach jeder Schicht das Gefühl hat, dass man wichtige Aufgaben nicht erledigt hat. Ich rede nicht von unbeantworteten Mails oder nicht aktualisierten Excel-Listen. Sondern von kranken oder gar sterbenden Menschen, für die man nicht genug tun konnte. Auch drei tote COVID-Patienten in einer Schicht steckt man nur mit einer gehörigen Portion Resilienz weg.

Das Risiko, im Verlauf des Lebens einmal in eine Situation zu geraten, in der man verletzlich oder hilflos ist, tendiert gegen hundert Prozent. Neben der eigenen Resilienz brauchen wir dann kompetente Menschen, die uns unterstützen, uns zur Seite stehen und uns motivieren, trotz Rückschlägen vorwärtszuschauen.

Oft sind das die Pflegefachleute, und sie werden gleichzeitig auch noch darauf achten, dass wir trotz Hilflosigkeit unsere Menschenwürde nicht verlieren. Aber wir laufen Gefahr, dass niemand da sein wird: Viel zu wenig Pflegefachpersonen werden ausgebildet, fast die Hälfte steigt nach kurzer Zeit wieder aus. Nicht alles lässt sich aushalten: Um die eigene Resilienz zu fördern, muss man wissen, wie man für sich selbst Sorge trägt.

Um ein resilientes Gesundheitssystem zu haben, das auch eine Pandemie aushält, müssen wir als Gesellschaft den Pflegefachleuten Sorge tragen. Es ist in unserem eigenen Interesse, das auch von den Entscheidungsträger*innen einzufordern.

 

lic. phil. Martina Camenzind
Redaktorin BR der Fachzeitschrift «Krankenpflege»