Bis der Kreis sich schliesst

21.03.2023
1/2023

Eine zehn Jahre alte Skihose flicken? Kleidungsstücke aus einem einzigen Fasertyp herstellen, damit sie rezykliert werden können? Solche weitreichenden Prozessanpassungen muss die Wirtschaft durchmachen, wenn sie funktionierende Kreisläufe schaffen soll. Das braucht ganz neue Partnerschaften – und bisweilen ganz neue Geschäftsmodelle. 

Braumeister Alex Villiger aus Rheinfelden hatte vor 90 Jahren eine visionäre Idee: Er begann aus der nicht mehr gebrauchten Bierhefe, die als Nebenprodukt beim Bierbrauen anfällt, ein Lebensmittel herzustellen. Die würzige Paste ist unter dem Namen «Cenovis» bis heute in der ganzen Schweiz bekannt.

Was mitten in der Krise in den 1930er-Jahren begann, könnte auch für heutige Unternehmer wegweisend sein. Denn der sorgfältige Umgang mit Rohstoffen wird immer wichtiger, und gute Ideen sind gefragter denn je.

Für Cenovis-Geschäftsführer Jürg Reimann hängt nachhaltiges Denken und Handeln auch mit der Führung zusammen. «Es kommen immer mehr zusätzliche Anforderungen auf die Führungskraft zu, umso wichtiger ist es, die Mitarbeitenden auch im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit ‹abzuholen›», erklärt er. «Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Energielage haben diese Themen in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen.»

In den regelmässigen Schulungen der Mitarbeitenden kommen auch Themen wie der schonende Umgang mit den Ressourcen zur Sprache. Dank einer Umrüstung auf LED-Leuchten konnte Cenovis 60 bis 70 Prozent des Beleuchtungsstroms einsparen. Nicht nur mit der Ressource Energie geht das KMU mit Sitz in Arisdorf (BL) gewissenhaft um, sondern auch mit den Rohmaterialien. Sie stammen mit Ausnahme der Gewürze wenn möglich aus der Schweiz oder dem grenznahen Ausland.

Weil die Rohstoffe lange haltbar und die Mengen optimiert sind, entsteht in der Produktion wenig Ausschuss. Dies gelingt auch, weil die Rohstoffe stets geprüft werden und, wenn sie einwandfrei sind, auch über die Haltbarkeitsangabe des Lieferanten hinaus verwendet werden können. Lebensmittel und Gastronomie gehören zu Branchen, in denen sich Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit anbieten.

«Was wir essen, hat eine riesige Umweltwirkung, die klar vermindert werden kann», bestätigt Kathrin Schlup. Sie gehört zu den Initiantinnen der letztes Jahr lancierten Website Circular Gastronomy Switzerland, die als Handbuch für Kreislaufwirtschaft in der Gastronomie funktioniert und Beispiele aus der Praxis vorstellt. Im Rahmen des Projektes gibt es auch Weiterbildungen und Austauschveranstaltungen, etwa zum Thema Mehrwegglas.

Wer was macht, ist nicht einerlei

Schlup ist sich bewusst, dass solche Themen neue logistische Fragen für die Betriebe aufwerfen, aber auch, dass dadurch neue Chancen und Kooperationen entstehen können. Was gemäss Kathrin Schlup viele Lokale nicht auf dem Radar haben: «Die Wertschöpfungskette ist gestaltbar. Es spielt eine Rolle, wo die Produkte herkommen oder wo die Tischwäsche gewaschen wird, zum Beispiel in einer sozialen Institution in der Nachbarschaft.»

Mit dieser regionalen Einbettung punktet ein Betrieb auch bei der Kundschaft. «Immer mehr Konsumenten wollen die Wertschöpfungskette vor Augen haben und fragen, woher das Rüebli auf dem Teller kommt», sagt Kathrin Schlup. Hier ist auch die Führung gefordert: Je mehr das Servicepersonal dank Schulungen darüber weiss, umso authentischer kann es am Tisch davon erzählen, was wiederum die Gäste begeistert.

Dies führt zu mehr Freude und Sinn bei der Arbeit, was beim aktuellen Arbeitskräftemangel ein nicht zu unterschätzender Faktor ist. Ein wichtiges Erfolgskriterium ist laut Kathrin Schlup die Preisgestaltung: «Es ist wichtig, die richtige Balance zu finden, damit die Produkte nicht plötzlich teuer sind. Es empfiehlt sich, in kleinen Schritten die Kreisläufe zu schliessen – etwa in der Zusammenarbeit mit lokalen Landwirten und Getränkeherstellern.» Sie berichtet von einem Restaurant, das nahezu alle Produkte aus der Region bezieht, ausser dem Kaffee. Dieser wird dafür in einem Geschirr aus recyceltem Kaffeesatz serviert. Ein anderes Lokal stellt auf der Terrasse Töpfchen mit Basilikum auf, der in Erde aus dem hauseigenen Kompost aus den Küchenabfällen des Restaurants wächst.

Gegenentwurf zur Textilindustrie

An einem solchen tadellosen Produktekreislauf beissen sich andere noch die Zähne aus. Das liegt auch an der Branche: Besonders schwer tut sich die ressourcenverschleissende Textilindustrie. Schon sehr weit ist schweizerische Outdoormarke Rotauf. Sie hat den Vorteil, dass ihre Eigentümer sie mit einer im Zentrum stehenden nachhaltigen Mission gegründet und aufgebaut haben. Umso konsequenter verfolgen die Macher um Geschäftsführer Peter Hollenstein seit elf Jahren ihre ambitionierten Ziele: einen lokalen, zukunftsfähigen Gegenentwurf zur globalen Textilindustrie zu schaffen. Das heisst langlebige, zeitlos designte Parkas oder Skitourenhosen möglichst ohne schädliche Chemikalien. Sie enthalten je nach Produkt Biobaumwolle, Bio-merinowolle oder Wolle von Bündner Bergschafen.

Den Anspruch «Swiss made» erfüllen viele Outdoormarken nicht, die laut «nachhaltig» schreien. «Wir haben entschieden, dass wir konsequenterweise in der Schweiz produzieren müssen, weil wir sonst die Produktionsbedingungen nicht überprüfen können», erklärt Peter Hollenstein. Das ganze Team freute sich, als Rotauf kürzlich eine zehn Jahre alte Skitourenhose zur Reparatur geschickt bekam. Ersatzteile sind jahrelang erhältlich.

Das möglichst lange Tragen und Reparieren als Teil der Kreislaufwirtschaft ist das eine, wirklich konsequent ist jedoch nur, wer Kreisläufe tatsächlich schliesst. Peter Hollenstein geht mit der weltweiten Textilindustrie schwer ins Gericht: «Faser-zu-Faser-Recycling findet in der heutigen Textilindustrie praktisch nicht statt.» Auch wenn es einige behaupten würden, denn das Wesentliche gehe oft vergessen: «Es ist insbesondere bei Mischgeweben nicht wirtschaftlich, die einzelnen Materialien wie Wolle oder Polyester zu trennen, um sie wiederzuverwerten.»

Auch Rotauf setzt bei mehreren Produkten eingekaufte rezyklierte synthetische Fasern ein. Das Ziel wäre aber, dass aus Outdoorkleidern wieder Outdoorkleider entstehen. Bis es so weit ist, ist gemäss Peter Hollenstein noch viel Entwicklungsarbeit mit Partnern nötig.

Freitag: Lastwagenplanen im Kreislauf

Am Thema Recycling arbeitet auch das Taschenlabel Freitag seit Langem. Als Pionier begann das Unternehmen in den 1990er-Jahren erfolgreich Umhängetaschen und andere Accessoires aus ausgedienten LKW-Planen herzustellen und erfolgreich zu verkaufen – der Rest ist Geschichte. Auch bei Freitag kann man Produkte zum Reparieren einschicken oder mit kostenlosen Ersatzteilen die Tasche gleich selbst flicken. Die Produktion ist ressourcenschonend dank Fernwärme und Solarenergie auf dem Dach und dank der Verwendung von gesammeltem Regenwasser beim Waschen der Planen.

Trotzdem geht Freitag jetzt noch einmal einen Schritt zurück und überdenkt den Materialfluss neu. Denn kreislauffähig in einem noch konsequenteren Sinn ist nur die Tasche, die am Ende ihres Lebens nicht entsorgt wird, sondern wieder ein neues Produkt werden kann. «Der wichtigste Gedanken in der Kreislaufwirtschaft ist, früh zu beginnen, in geschlossenen Kreisläufen zu denken», gibt Freitag-Verwaltungsrat Oliver Brunschwiler im Interview zu bedenken.

Das Unternehmen arbeitet derzeit mit der Transport- und Chemiebranche am Material einer kreislauffähigen Plane und schickte kürzlich die ersten Prototypen auf Testfahrt. Schon einen Schritt weiter ist Freitag mit einer eigenen nachhaltigen Kleiderlinie aus kompostierbarem Stoff unter dem Namen F-ABRIC. Oliver Brunschwiler ist der Ansicht, dass die Schweiz Hebel hat, messbar etwas zu verändern. Weil bei uns als Importnation viele Materialflüsse über das Ausland laufen und wir es uns im Gegensatz zu anderen Ländern leisten können, Kreislaufwirtschaft als künftige Norm zu betrachten. «Es wird von Unternehmen stark unterschätzt, dass die Regeneration des Planeten und die Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells durch tägliche Aktionen beeinflussbar ist», sagt Brunschwiler. Etwa bei der Materialwahl oder der Verpflichtung der Lieferanten auf einen «Code of conduct».

Papier aus Kakaoschalen

Beim schweizerischen Schokoladenlabel Choba Choba hingegen sind die peruanischen Kakaobauern sogar am Geschäft mitbeteiligt. Sie gehören mit 25 Prozent zur grössten Aktionärsgruppe, und eine der Kakaobäuerinnen ist Mitglied im Verwaltungsrat. Als Eric Garnier und sein Geschäftspartner Christoph Inauen das Unternehmen 2015 mit 36 Familien im peruanischen Amazonas gründeten, war es ihnen wichtig, deren Lebensgrundlagen nachhaltig zu verbessern. Die Bauern erhalten das Zwei- bis Dreifache der üblichen Preise, entscheiden mit und sind am Gewinn beteiligt. In der Schweiz werden die Kakaobohnen von Partnern zu Schokolade verarbeitet, die unter der Marke Choba Choba auf den Markt kommt.

Vor drei Jahren ist Garnier nach Lima gezogen, um sich auf die Arbeiten in Peru zu fokussieren. Wenn er erklärt, dass er und sein Team Ziele jenseits der Wirtschaft verfolgen, ist das mehr als ein Marketingspruch. Das Unternehmen will darüber hinaus die Biodiversität erhalten und hat eine Erhaltungsplantage angelegt, um die genetische Vielfalt von fast vergessenen Kakaosorten zu bewahren. In einer Datenbank wurden dafür die Daten von über 100 ursprünglichen Kakaosorten gesammelt, die teilweise widerstandsfähiger sind als herkömmliche und höhere Erträge generieren.

«Wir sind regenerative Wirtschafter in der Art und Weise, wie wir als Ökosystem organisiert sind. Und wir sind Kreislaufwirtschafter in der Art und Weise, wie wir den Kakao anbauen und produzieren», sagt Eric Garnier. So sorgt etwa die Baumpflege in der Agroforstwirtschaft für mehr Biomasse und verbessert dabei die Bodengesundheit. Dabei sind die Möglichkeiten für Materialkreisläufe noch längst nicht ausgeschöpft.

Ein weiterer Schritt wäre, die Schokoladentafeln mit Papier zu umwickeln, das aus getrockneten Kakaoschalen gewonnen wurde. Eric Garnier und sein Team arbeiten daran.