Die Insel The Circle

Wir leben in zwei Schweizen, der Innenschweiz und der Aussenschweiz. Die Innenschweiz lebt von sich selbst, sprich von dem Gewerbe-, Dienstleistungs- und Verwaltungsgemenge, dem man Binnenwirtschaft sagt. National, bodenständig, einsprachig. Die Innenschweiz ist das Festland. Die Aussenschweiz hingegen lebt vom Austausch, sprich dem weltweiten Waren-, Ideen- und Geldstrom, dem man Globalisierung sagt. International, weltläufig, englisch redend. Die Aussenschweiz gehört zum Archipel Global. Eine der Inseln des weltumspannenden Archipels Global heisst «The Circle».

Diese Insel, zusammen mit der grösseren namens Flughafen Zürich, ist die Anschlussplattform der Schweiz an den Archipel Global. Mit der Innenschweiz hat The Circle nur noch lose zu tun. Die vielen eingeborenen Innenschweizer, die in der internationalen Aussenschweiz arbeiten, sind Grenzgänger von der einen Schweiz in die andere.

The Circle ist ein Freilager für Bedürftige. Ihnen fehlt es nicht an Geld, bewahre, davon haben sie übergenug. Was ihnen fehlt, ist die Qualität. Die der Dienstleistung nämlich. Die finden sie auf The Circle. Sie brauchen Anwälte, Anlageberater, Ärzte, Psychologen, Ausstatter, Juweliere und ähnliche Spezialisten, zusammenfassend: jene Diskretion und Sicherheit, die die Aussenschweiz zu garantieren vermag, mindestens für die nächsten 100 Jahre.

The Circle kommt als moderne Stadt daher, dicht, vielfältig, urban, weltläufig. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt der Stadtwanderer: Das ist eine Tourismusinsel der globalisierten Art. Es gibt hier nur Besucher, keine Einwohner. Der Flughafen als die grosse Pumpe schafft ununterbrochen neue Flugpendler herbei. Sie bleiben einige Stunden, höchstens eine Nacht. Sie sind der Kaufstrom, der The Circle nährt und antreibt. Er darf nie abbrechen. Stillstand hiesse verdorren.

Damit ist auch klar, dass The Circle zwar auf Schweizer Boden steht, aber eine internationale Konzession ist, will sagen weder für die Innenschweizer noch für die Aussenschweizer gebaut wurde, sondern einzig und allein für die Flugpendler. Das unterstreicht auch die Architektur. Sie ist international, das heisst, sie könnte auf jeder anderen Insel des Archipels Global zu finden sein. Genauer: Sie ist das, was die Flugpendler von Architektur erwarten. Gross, modern, wie anderswo, bequem. Die Innenschweizer stehen dort und verstummen. Was man nicht unterscheiden kann, darüber muss man schweigen.

Benedikt Loderer
Stadtwanderer