Echte Revoluzzer reparieren

21.03.2023
1/2023

Wegschmeissen und neu kaufen: Eine Mentalität, die sich mit billiger Fernost-Ware im Westen eingeschlichen hat. Heut geht der Trend in die Gegenrichtung: Reparieren ist sexy – und das gilt keineswegs nur für Hightechgeräte und Autos.

Als Bettina E. während einer Geschäftsreise in New York feststellt, dass ihr iPhone sich nicht mehr aufladen lässt, sucht sie einen Shop auf. Unreparierbar, sagt der Verkäufer, das sei der Akku, und den gäbe es für das Modell nicht mehr. Bettina kauft zähneknirschend ein neues iPhone Modell 14. Vier Tage später, zurück in der Schweiz: Das neue Gerät rutscht Bettina aus der Hand. Das Glas auf der Rückseite ist geborsten. Diagnose im Reparaturcenter in Basel: Totalschaden – die Rückseite des neuen iPhones lasse sich gar nicht mehr oder nur unter hohen Kosten ersetzen.

Bettina meldet den Schaden der Versicherung. Sie erhält ein neues Telefon. Das alte, ursprüngliche iPhone lässt sie aber auch noch im Shop. Diagnose: kleiner mechanischer Fehler, repariert für 35 Franken. Das Gerät funktioniert einwandfrei.  

Von der Reparatur wird abgeraten

Nachdem Christoph K. den Servicemann hat kommen lassen, weil der gerade mal einjährige Tumbler nicht mehr anspringen will, obwohl alle Lämpchen brennen, erklärt ihm der Mann, es sei wohl die elektronische Steuerung, die defekt sei. Kostenpunkt: gegen tausend Franken. Er rät von einer Reparatur ab. 

Christoph recherchiert im Internet. Er findet eine Steuerungsplatine für den Tumbler als Ersatzteil, Kosten inklusive Versand unter 100 Franken. Ausserdem findet er eine Checkliste zur Fehlersuche bei seinem Tumblermodell. Er nimmt sich an einem Samstagnachmittag Zeit und spielt die Liste Schritt für Schritt durch. Beim fünften Schritt stösst er auf die Ursache für den Ausfall. Es ist der Startkondensator für den Motor des Tumblers – ein sehr simples elektronisches Bauteil, im Internet zu kaufen für weniger als zehn Franken. 

Keine zwei Generationen ist es her, dass auch in der reichen Schweiz Schuhe regelmässig neu besohlt, Socken gestopft, Autos repariert und Küchenmaschinen ein Leben lang gepflegt wurden. Heute wechseln wir unsere Laptops alle vier und unsere Smartphones im Schnitt alle 2,3 Jahre. An Autos werden Kotflügel ausgetauscht statt ausgebeult und ganze Motorenteile als Modul ersetzt. 

Viel effizienter als PET sammeln

Was das in CO2-Ausstoss bedeutet, hat Greenpeace in einer Studie über den Gebrauch von Waschmaschinen, Laptops, Smartphones, Kleidung und Möbel untersucht. Resultat: Würden wir unsere Kleidung sieben statt vier Jahre benutzen, liessen sich damit 1,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent vermeiden. Das entspricht der Menge, die ein Auto ausstösst, wenn es  186’000-mal um die Welt fährt.

Zum Vergleich: Das gesamte PET-Recycling in der Schweiz sorgte im Jahr 2020 für eine Einsparung von 137’000 Tonnen CO2. Würden wir Küchengeräte, Möbel, Smartphones und Kleidung drei Jahre länger benutzen, als wir es im Schnitt tun, würden wir das 10- bis 30-Fache des PET-Recyclings einsparen.

Greenpeace hat deswegen eine Petition für das Recht auf Reparatur lanciert, wie die EU es kennt: Hersteller müssen zehn Jahre lang nach dem Auslaufen eines Modells die Verfügbarkeit von Ersatzteilen garantieren.  

Denn den Reparaturen stehen nicht unbedingt die Konsument:innen selbst im Weg. Eine Umfrage hat gezeigt, dass sie grossmehrheitlich reparaturwillig sind – aber erstens oft gar nicht die Option dazu bekommen (siehe Apple und die iPhones) oder aber zweitens zu einem Preis, der sich für sie nicht lohnt.

Die Jungen wollen reparieren

Dennoch liegt Reparieren im Trend. Der zweisprachige Reparaturführer listet inzwischen Hunderte von Geschäften, die alles Mögliche reparieren. Das Netz der Reparaturcafés, die im Auftrag Dinge flicken oder wo die Kundschaft selbst Hand anlegen kann, ist inzwischen schweizweit auf über 200 angewachsen. Und neue Angebote wie das aus der Westschweiz stammende Fahrrad-zu-Haus-flicken-Lassen-Portal Bykarl.ch oder die private Geräteverleih-Plattform Sharely.ch liegen bei jungen Leuten im Trend.

Mehr noch: «Früher waren unsere Kunden hauptsächlich Leute im Alter von 50, 60 Jahren. Aber in den letzten Jahren gab es einen Boom von jungen Leuten, die kommen, um ihre Geräte zu reparieren», sagt Filialleiter Dragan Ivanovic vom Reparaturcenter «La Bonne Combine» in der Nähe von Lausanne, wo man fast alles repariert, was zu Hause zu finden ist. 

Ein «Akt des Widerstands»

Reparieren spart nicht nur Geld. Es ist cool und wird zum Trend. Für junge Leute könnte es zum Protestsymbol werden wie einst die langen Haare oder der Joint. «Einen Gegenstand zu reparieren, ist ein Akt des Widerstands», sagt der französische Designer David Enon in seinem Buch «La vie matérielle, mode d’emploi». Und das ist nicht nur im übertragenen Sinne gemeint. Die Robin Hoods der Web-Gesellschaft sind Plattformen, auf denen Reparaturanleitungen für Geräte publiziert werden, welche die Hersteller bekämpfen, wie wenn es sich um Markenkopien handeln würde.

Bisweilen müssen sich die Anwender:innen sogar das Recht auf eine Reparatur erkämpfen: Erst Anfang Jahr setzten sich die US-Farmer gegen den Landmaschinenhersteller John Deere durch, der Reparaturen an seinen Produkten mit einer Software verhinderte.