Ein grosser (pragmatischer) Schritt zur Nachhaltigkeit

21.06.2023
2/2023

Einen neuen Rechtsstatus für nachhaltige Unternehmen: Nichts weniger will das Genfer B Lab mit einer dieser Tage gestarteten Kampagne schaffen. Zweck der rechtlichen Qualifikation für Schweizer Unternehmen soll es sein, das Wohl der Gesellschaft und des Planeten auf eine Ebene mit dem des Unternehmens zu stellen – ohne dabei die Profitorientierung zu verteufeln.

«Natürlich wäre eine perfekte Welt die, in welcher alle Unternehmen Sozialunternehmen wären», sagt Jonathan Normand, CEO von B Lab. Das Genfer Unternehmen zertifiziert Firmen, die hohe Standards für geprüfte Sozial- und Umweltverträglichkeit, Transparenz und Verantwortlichkeit erfüllen. Normand erwähnt auch Genossenschaften, die oftmals mit verantwortungsvollem Unternehmertum in Verbindung gebracht werden: «In der Schweiz sind aber rund 9000 Organisationen als Genossenschaften registriert. Sie stehen 320 000 Einzelfirmen, 120 000 Aktiengesellschaften und 123 000 GmbHs gegenüber.»

Nicht Idealismus, sondern Wirtschaftlichkeit als Treibmittel

Genossenschaften und Stiftungen seien völlig anders ausgerichtet – sie hätten Mitglieder und Nutzniesser, nicht Aktionäre und Investoren. Ihre Realität sei eine ganz andere, sie seien von den Finanzmärkten abgekoppelt.

«Ziel der Kampagne von B Lab», sagt Normand, «sind aber eben gerade alle Unternehmen, nicht nur Genossenschaften: Sie sollen eine Möglichkeit erhalten, sich mehr als nur dem Profit zu verpflichten, ohne ihre Attraktivität für Investoren aufgeben zu müssen.»

Das sei keineswegs ein idealistischer oder gar ideologischer Schritt, sondern eine Frage der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Bereits heute steht «Nachhaltigkeit» oder vielmehr eine weiter gehende Ausrichtung auf Nutzen für Gesellschaft und Erde viel weiter oben auf der Kriterienliste für erfolgreiche Unternehmen, als man annehmen möchte.

B Lab hat damit Erfahrung: Weltweit haben sich bisher 6500 Unternehmen B Corp-zertifizieren lassen, in der Schweiz rund 100; diese haben ein Umsatzwachstum von durchschnittlich 22 Prozent zwischen 2018 und 2022 erzielt. Dies im Vergleich zu 8 Prozent im landesweiten Durchschnitt.

Ambitioniert, aber pragmatisch

«Um einen wirklichen Wandel der wirtschaftlichen Strukturen zu erreichen, brauchen wir aber die Aktionäre und Firmeneigentümer, nicht die Mitglieder von Genossenschaften», sagt Normand. Den grössten Impact auf das gesamte Wirtschaftssystem werde eine Reihe pragmatischer Ansätze in Iterationen haben, ist er überzeugt.

Der erste Schritt in der Schweiz hat es aber bereits in sich. Normand initiiert eine breit abgestützte Kampagne inklusive politischer Vorstösse für einen neuen Rechtsstatus «Sustainable Enterprise». Die staatlich anerkannte Qualifikation soll sicherstellen, dass jedes Unternehmen, unabhängig von seiner derzeitigen Rechtsform, seine Interessen über die reine Verbesserung der treuhänderischen Pflichten hinaus auch auf das Wohl der Gesellschaft, der Menschheit und des Planeten ausrichten kann.

Und zwar in einer standardisierten, kontrollierbaren Form und in einem Rahmen, welcher der Ausrichtung Glaubwürdigkeit verleiht und zugleich dem Unternehmen einen wirtschaftlichen Nutzen bringt.

Für Unternehmen, die sich um diesen neuen Rechtsstatus bemühen, sollen zudem weitere Anreize geschaffen werden. Diese sollen einerseits steuerliche Begünstigungen beinhalten. Sustainable Enterprises sollen anderseits in öffentlichen Ausschreibungen prioritär behandelt werden. Bereits sei für den Bewerb um eine öffentliche Ausschreibung das Kriterium «Nachhaltigkeit» sowohl in sozialer als auch umwelttechnischer Sicht ein Merkmal, aber es könne von der öffentlichen Hand, welche die Aufträge vergebe, nur schwer beurteilt werden, weil Standards fehlten. Hier könnte der neue Rechtsstatus eine Orientierungshilfe schaffen.

Die Schweiz ist kein Einzelgänger

Die Notwendigkeit eines klaren Status für nachhaltig orientierte Unternehmen ergibt sich aber vor allem auch auf internationaler Ebene. Nicht nur haben andere Länder wie Frankreich, UK, Deutschland, Italien und Spanien solche Vorschläge auf dem Tapet; vor allem entwickelt sich auch die Regulierung der EU rasch in eine Richtung, in der ein angepasstes Verfahren zur Berichterstattung über ihr Wirken für Gesellschaft und den Planeten von Vorteil, wenn nicht sogar unabdingbar ist. Ab 2025 muss jedes Schweizer Unternehmen, das in der EU 30 Prozent seines Umsatzes erzielt, einen Nachhaltigkeitsbericht offenlegen; ab 2027 bereits ab einem Umsatz von 10, ab 2029 ab einem Umsatzanteil von einem Prozent. Ausserdem werden sich die Sorgfaltspflichten der Unternehmen, die in der EU tätig sind, durch die geplante Corporate Sustainability Due Diligence Directive drakonisch verschärfen.

Da kommt die Kampagne für die «Sustainable Enterprises» der Schweizer Wirtschaft genau zum richtigen Zeitpunkt – und das auch, weil seit Januar 2021 im öffentlichen Beschaffungswesen der Schweiz die erwähnte Nachhaltigkeitspflicht bei der Wahl der Geschäftspartner besteht.

Das reicht aber noch nicht. Nach den politischen Vorstössen von 2014 und 2022 will die von B Lab lancierte Kampagne spätestens im Herbst 2024 ebenfalls mit Vorstössen im Parlament durchdringen. «Es ist unser Angebot an die Schweizer Wirtschaft, das Thema des Wandels proaktiv an die Hand zu nehmen – auch wenn das nicht der typische schweizerische Weg ist», lacht Jonathan Normand.

Die drei Phasen der Kampagne

Phase 1: Vorbereitung (seit 31. Mai 2023): Austausch mit der Parlamentarischen Gruppe Nachhaltigkeit 2030 SDGs. Erster politischer Appell für einen neuen Rechtsrahmen.

Phase 2: Absichtserklärung (ab Mitte Juni 2023). Unternehmen werden ermutigt, das neue Vorhaben durch die Unterzeichnung eines politischen Manifestes zu unterstützen.

Phase 3: Schritt an die Öffentlichkeit (ab November 2023): Vorstellung des neuen Rechtsstatus am Swiss Impact Forum. Startschuss einer breiten Koalitionsbildung, der sich alle wichtigen Akteure der Gesellschaft anschliessen können (Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft, Wissenschaft).