«Es ist wertvoll, mit den Mitarbeitenden in ihrer Sprache zu kommunizieren»

09.06.2020
2/2020

Die Telekommunikationsspezialistin Mariateresa Vacalli wurde im September 2019 zur CEO der Bank Cler ernannt. Das Unternehmen repräsentiert für die Tessinerin die Vielfalt der Schweizer Gesellschaft und Kultur. Nach diesen Grundsätzen führt sie es auch.

Frau Vacalli, als gebürtige Tessinerin haben Sie unter anderem in Lausanne eine Weiterbildung absolviert und sind heute in Basel CEO einer Bank mit rätoromanischem Namen. Sind Sie die perfekte Schweizerin?

Perfekt bin ich sicher nicht (lacht), aber eine überzeugte Schweizerin. Obwohl ich in der Schule Mathematik bevorzugte, war mir früh klar, dass ich meine Fremdsprachenkenntnisse erweitern wollte. Das ist für uns Tessiner absolut normal, da wir als sprachliche Minderheit praktisch dazu gezwungen sind. Entsprechend wird der Fremdsprachenunterricht vor Ort sehr früh in den Schulbetrieb integriert. Mit sechs Jahren begann ich mit Französisch, mit zwölf kam Deutsch und mit vierzehn Englisch dazu. Auch Rätoromanisch verstehe ich, spreche es allerdings nicht. Später kam als weitere Sprache noch Spanisch dazu, wo ich aber noch einiges zu lernen habe.

In welcher Sprache träumen Sie?

Das ist unterschiedlich, mal Italienisch, mal Deutsch oder sogar gemischt. Dadurch, dass ich so viele Sprachen spreche, spreche ich keine Sprache richtig perfekt. Die Folge davon: Ich werde in allen Landesteilen immer mal wieder gefragt, ob ich noch nicht lange in der Schweiz lebe.

Stecken Sie das locker weg?

Auf jeden Fall, denn die Vorteile überwiegen deutlich.

Ich werde in allen Landesteilen immer mal wieder gefragt, ob ich noch nicht lange in der Schweiz lebe.

Auch im Geschäftsleben?

Hier ganz besonders. Wir haben bei der Bank Cler Geschäftsstellen in allen Schweizer Landesteilen, und es ist für mich sehr wertvoll, mit allen Mitarbeitenden in ihrer jeweiligen Sprache kommunizieren zu können. Das erleichtert vieles, weil man sich auf Anhieb versteht. In einem Unternehmen mit rund 500 Mitarbeitenden ist dies ein enormer Mehrwert.

Und wird wohl auch von der Belegschaft geschätzt.

Klar erleichtere ich mir auch den menschlichen Zugang, wenn ich die Kollegen in Genf auf Französisch, in Zürich auf Deutsch und in Bellinzona auf Italienisch anspreche. Das ist gerade in einem gesamtschweizerisch tätigen Unternehmen sicherlich ein nicht zu unterschätzender Führungs- und Vertrauensbonus.

Wo spüren Sie dieses Vertrauen im Alltag?

Es macht sich vor allem im Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie und dem Tessin bemerkbar. Unser Hauptsitz ist in Basel, dies ist automatisch mit der Annahme einer Deutschschweizer Dominanz verbunden. Mit dem Durchbrechen der Sprachbarriere kommunizieren wir auf Augenhöhe. Das bestärkt mich, genau so weiterzufahren. Auch deshalb habe ich zum Beispiel kürzlich einen Auffrischungskurs «Banking auf Französisch» absolviert.

Die Sprache ist das eine, die Mentalität das andere. Kommunizieren Sie mit der St. Galler Filiale anders als mit jener in Lausanne, unabhängig von der Sprache?

Da gibt es tatsächlich Unterschiede. Obwohl man die Tessiner und die Romands gemeinhin als lockerer bezeichnet als die Deutschschweizer, legen sie mehr Wert auf Formalitäten im persönlichen Umgang. Zumindest auf geschäftlicher Ebene. Wir pflegen in unserer Bank die Du-Kultur, was von den Deutschschweizer Mitarbeitenden sofort problemlos angenommen und umgesetzt wurde. Bei den Westschweizern und den Tessinern ist das Duzen etwas schwieriger, weil sie es nicht gewohnt sind. In der lateinischen Schweiz wird die Sie-Form als Zeichen des Respekts und einer Hierarchieordnung verstanden. 

Stellen Sie diese unterschiedlichen Mentalitäten in der Führung auch vor Schwierigkeiten?

Ich kann gut mit solchen Situationen umgehen, was auch damit zu tun hat, dass ich in jeder Schweizer Sprachregion schon selbst gearbeitet habe. Dadurch kenne ich die Eigenheiten der Menschen in den Regionen gut und weiss in den meisten Situationen, was mich erwartet.

In der lateinischen Schweiz wird die Sie-Form als Zeichen des Respekts und einer Hierarchieordnung verstanden.

Hat die Sprach en vielfalt für ein eher kleines Unternehmen wie die Bank Cler auch Nachteile?

Ja, die sprachliche Vielfalt hat natürlich auch eine Kehrseite. Als Bank, die ausschliesslich in der Schweiz aktiv ist, übersetzen wir fast alles in die drei grossen Landessprachen: Medienmitteilungen, interne Informationen, Schulungsunterlagen, Verträge, sämtlichen Content auf den Webseites und so weiter. Dieser Aufwand hat seinen Preis. Sprachenvielfalt ist definitiv teuer.

Die Grossbanken machen es sich da einfacher und haben Englisch zur Unternehmenssprache erklärt. Kein Thema?

Nein, kein Thema für uns. Wir haben Mitarbeitende aus 20 verschiedenen Nationen mit 14 Muttersprachen. Viele davon sind in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Diese Vielsprachigkeit ist ein grosser Vorteil, denn sie spiegelt unsere Kundschaft wider. So kann ein Kundengespräch durchaus mal in deren Muttersprache geführt werden.

Die Bank Cler will mit digitalen Tools und Smartphone-Banking vor allem ein junges Publikum erreichen. Geht die Strategie auf?

Wir positionieren uns als digitale Bank mit physischer Präsenz und möchten unsere Kunden über alle möglichen Kanäle ansprechen. Vertreter der jungen Generation wollen ihre Geldgeschäfte vornehmlich über das Smartphone abwickeln. Wenn es um komplexere Bankgeschäfte wie Geldanlagen oder eine Finanzierung geht oder man älter ist, schätzt man dagegen den Beraterkontakt in der Geschäftsstelle. Mit 31 Geschäftsstellen in der Schweiz haben wir eine gute Marktabdeckung, können allerdings mit einem dichten Filialnetz, wie es etwa Mitbewerber wie Raiffeisen oder die Kantonalbanken bieten, nicht mithalten. Folglich legen wir den Fokus für unsere Wachstumsstrategie eher auf das digital affine Publikum, also die jüngere Kundschaft. 

Mit Erfolg?

Unsere Smartphone-Banking-App Zak hat in einer vergleichsweise kurzen Zeit schon über 32 000 jugendliche Kundinnen und Kunden angezogen, was sicherlich ein respektabler Erfolg ist.

Wir übersetzen fast alles in drei  Landessprachen. Sprachenvielfalt ist definitiv teuer.

Mit welcher Sprache müssen junge Bankkunden angeworben werden?

Wir wollen uns sicher nicht mit einer Pseudo-Jugendsprache anbiedern, sondern möglichst authentisch sein. Deshalb arbeiten im Zak-Team auch mehrheitlich jüngere Mitarbeitende. Sie sprechen die Sprache der jungen Kunden ganz natürlich, ohne sich verstellen zu müssen. Das scheint gut zu funktionieren.

Haben Sie nie den Wunsch, sich aus dem hektischen Stadtleben dereinst wieder ins beschauliche Tessin zurückzuziehen?

Wenn ich in Pension gehe, tönt diese Option durchaus attraktiv (lacht), aber bis dahin habe ich noch viel Zeit und noch mehr zu tun.

Von der Telko zum Banking

Bevor die gebürtige Tessinerin Mariateresa Vacalli zur CEO der Bank Cler ernannt wurde, war sie im Konzern Basler Kantonalbank als Chief Digital Officer tätig. Dort war sie für die digitale Transformation für den Konzern BKB zuständig, zu welchem auch die Bank Cler gehört. Sie hat 1998 das Studium an der ETH Zürich als diplomierte Betriebs- und Produktionsingenieurin abgeschlossen und verschiedene Executive-Management-Ausbildungen absolviert – unter anderem an der INSEAD Fontainebleau und der IMD Lausanne. Zwischen 2016 und 2018 war sie als CEO von Moneyhouse AG tätig, der zur NZZ-Mediengruppe gehörenden Plattform für Wirtschaftsinformationen. Davor hatte Mariateresa Vacalli während rund 14 Jahren verschiedene Managementfunktionen bei zwei Telekommunikationsunternehmen (Sunrise und UPC) inne.