Gegenüberstellung

09.09.2021
3/2021

01. Sind wir am Ziel, wenn 50 Prozent der Macht in Frauenhand sind?

02. Ist Gleichberechtigung eine Frage der Regulierung oder eines Kulturwandels?

03. Welche Gesellschaft würden Sie als Vorbild nennen?

01.

Jein. Es bringt unserer Gesellschaft wenig, wenn die Teppichetagen und die Parlamente 50 Prozent Frauenanteil haben, sie aber weiterhin Frauen mit ihren Entscheidungen strukturell benachteiligen wie beim Frauenrentenalter beispielsweise. Dennoch wäre es ein Fortschritt: Selbst die Perspektive einer privilegierteren Frau, die in der Schweiz lebt und arbeitet, ist momentan chronisch untervertreten.

02.

Beides. Seit 40 Jahren steht der Gleichstellungsartikel in unserer Verfassung. Seither haben wir weder die Lohngleichheit noch eine anständige Kinderbetreuung für alle. Lippenbekenntnisse reichen also nicht. Gleichzeitig braucht es einen Kulturwandel in der Bevölkerung. Nur «Ja» heisst «Ja» – und Sorgearbeit soll gleichmässig geteilt werden. Das können wir alle im Alltag anwenden, so schwierig ist das nicht.

03. 

Definitiv die LGBTQIA+-Community. Wir versuchen, den jeweiligen Bedürfnissen der einzelnen Personen nachzukommen. Wir feiern uns gegenseitig und sind gleichzeitig offen für Kritik, denn Fehler passieren. Dieser Mix aus Lernbereitschaft, Nächstenliebe und Einstehen für die Rechte von allen Farben des Regenbogens ist für mich ein gesellschaftliches Vorbild. Eine solche Offenheit würde der Schweiz guttun.

Mia Jenni
Als Geschäftsleitungsmitglied der JUSO Schweiz und als Einwohnerrätin SP Obersiggenthal arbeitet Mia Jenni für die Themen, die sie bewegen.  

01. 

Natürlich nicht! Wir sind dann am Ziel, wenn die Macht in den Händen derjenigen liegt, die dazu fähig sind und bereit, ihre Macht umsichtig und mit dem dafür notwendigen Verantwortungsbewusstsein zu übernehmen. Dass das Frauen genauso können, liegt auf der Hand. Dennoch müssen wir sie fördern und ermutigen, um weitere Vorbilder zu haben. Mit Blick auf die bisherige Machtverteilung könnte sie gut und gerne auch einmal ganz in Frauenhand liegen.

02. 

Von beidem. Wir müssen uns alle von einseitigen Rollenbildern lösen: Ein Mann muss auch Vater und Hausmann sein können, eine Frau darf im Beruf ganz nach oben kommen und auch die Familie ernähren; Paaren muss es möglich sein, ihr eigenes Modell zu finden. Dafür braucht es die Bereitschaft von allen – und ein paar richtige Anreize wie Tagesschulen, gleiche Löhne und flexible Arbeitszeitmodelle.

03. 

Keine. Jede Gesellschaft braucht die Lösung, die zu ihr passt. Für die Schweiz muss es eine möglichst freiheitliche, offene und auch leistungsorientierte sein. Wer gut ist, soll weiterkommen. Und dazu müssen wir tradierte Bewertungsformen überdenken und Vorurteile abbauen.

Katja Gentinetta
Katja Gentinetta ist selbstständige politische Philosophin und Publizistin, Verwaltungsrätin, unter anderem beim IKRK, und designierte Präsidentin des Stapferhauses.