«Ich weiss, dass mein Gegenüber weiss, was zu tun ist.»

03.03.2022
1/2022

Im herausfordernden Umfeld des Gesundheitswesens ist Vertrauen am Arbeitsplatz besonders wichtig, und zwar nicht nur in Pandemiezeiten. Franziska von Arx-Strässler führt im Kinderspital Zürich rund 200 Mitarbeitende und weiss, worauf es ankommt.

Sich aufeinander verlassen zu können, ist essenziell.

Frau von Arx-Strässler, was bedeutet Vertrauen für Sie?

Es ist ein zentraler Wert in der gemeinsamen Zusammenarbeit. Sich aufeinander verlassen zu können, ist essenziell.

In was oder in wen haben Sie persönlich am meisten Vertrauen?

In unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in die Arbeit, die sie zum Wohl unserer Patienten leisten. Im Privaten natürlich in den engsten Familien- und Freundeskreis. Ich weiss, dass ich mich jederzeit und in welcher Situation auch immer auf sie verlassen kann.

Wo tangiert das Thema Vertrauen Sie in Ihrer Arbeit als Co-Leiterin Pflegedienst der Intensivstationen am Kinderspital Zürich am stärksten?

Das gegenseitige Vertrauen ist die Grundlage für die Zusammenarbeit. Wir arbeiten im Kinderspital eng mit den Patienten und Angehörigen zusammen. Damit dies funktioniert und sie uns vertrauen können, brauchen wir auch verlässliche Beziehungen mit ihnen.

Sie vertreten die Interessen einer Berufsgruppe, die in den letzten zwei Jahren schwersten Belastungen ausgesetzt war und ist. Welcher Aspekt kommt dem Vertrauen in dieser besonderen Situation zu?

Das Vertrauen ins Team – sich gegenseitig unterstützen, aufbauen, stärken, solidarisch untereinander sein – ist sehr wichtig. Dazu gehört ebenso, einander Mut zu machen, psychologische Unterstützung zu ermöglichen, ein offenes Ohr zu haben und präsent zu sein. Wichtig ist auch das Vertrauen in die Führung und wie diese damit umgeht. Zum Beispiel indem sie Sicherheit vermittelt, die Situation der Mitarbeitenden und auch deren Grenzen wahrnimmt und erkennt, wenn man nicht mehr fordern kann.

Wie sehen Sie diese Grenzen?

Das ist Erfahrungssache. Es braucht eine gewisse Sensibilität, um zu spüren, wo die Mitarbeitenden stehen. Wer nachfragt, erhält ehrliche Antworten. In der Intensivmedizin kommt vieles schnell und unerwartet. Die Menschen, die hier arbeiten, stellen sich diesen Herausforderungen gerne. Aber die Pandemie dauert schon so lange, und es hat keine Verschnaufpause gegeben.

Funktioniert der Berufsalltag auf einer Intensivstation in Pandemiezeiten überhaupt ohne Vertrauen?

Nein, es braucht Vertrauen. Auf der Intensivstation arbeiten wir interprofessionell auf Augenhöhe. Es wird Hand in Hand gearbeitet, und jeder kennt die Kompetenzen des anderen. Die Pflegefachpersonen haben viel Know-how und Kompetenz, und es wird auf sie gehört. Aber es braucht auch hier Leadership, gute und regelmässige Absprachen und gemeinsame Behandlungsziele – auch wenn oft vieles von Unsicherheit begleitet ist. Umso wichtiger ist es, dass Entscheidungen klar kommuniziert werden und die Wege dahin transparent sind.

Wann zum Beispiel?

In gewissen Situationen, etwa im Schockraum, wohin die Patienten vom Notfall oder von der Rega gebracht werden, sind Standards und definierte Arbeitsanweisungen wichtig, um Sicherheit und Vertrauen zu geben. Die Rolle jedes Einzelnen ist klar definiert. Ich weiss, dass mein Gegenüber weiss, was zu tun ist. Das ist sehr hilfreich.

Woher nehmen die Pflegenden dieses Vertrauen – auch das Vertrauen zueinander?

Wir nehmen es wohl aus der Gewissheit, dass wir etwas sehr Sinnvolles tun. Wir leisten dies so gut, wie es uns möglich ist – für die Menschen, die uns anvertraut wurden. Vertrauen gehört zur Grundhaltung, weil wir nur miteinander gut arbeiten und damit die Ressourcen gegenseitig genutzt werden.

Stellen Sie fest, dass sich das Thema Führung im Gesundheitswesen in den letzten Jahren gewandelt hat? Welche Rolle spielt dabei das Vertrauen?

Werte wie Vertrauen und Verlässlichkeit, Respekt, Wertschätzung und Empowerment sind und bleiben zentral. Auch ich erlebe Situationen, in denen ich spüre, dass mir die Mitarbeitenden nicht voll vertrauen oder sich zu wenig verstanden fühlen. Es ist wichtig, die Bedürfnisse der neuen Generation zu kennen und entsprechende Modalitäten in Bezug auf das Arbeitsfeld auszuarbeiten.

Was ist die wichtigste Basis, um als Führungsperson Vertrauen aufzubauen?

Die persönliche Bereitschaft, sich auf sein Gegenüber einzulassen. Die Mitarbeitenden müssen das Gefühl haben, zu einem Team zu gehören, dass sie gehört werden und ihre Stimme Gewicht hat und keine Sanktion erfolgt, wenn sie Kritik äussern. Kritik muss angstfrei kommuniziert werden können. Auch ich muss meine Fehler kommunizieren – irren ist menschlich. Das gegenseitige Vertrauen wird auch gefördert, wenn Mitarbeitende eigene Ideen einbringen können, die dann umgesetzt werden.

Welche Eigenschaften der Führungspersonen begünstigen das Vertrauen ausserdem?

Wenn sie ehrlich, authentisch und ein Vorbild sind. Nur wenn ich glaubwürdig bin und auch lebe, was ich von den Mitarbeitenden erwarte, entsteht Vertrauen als Basis. Wenn eine neue Führungsperson in ein Team kommt, sollte sie erst einmal ankommen, das Team kennenlernen, hinschauen, zuhören, wer wie «tickt», sich Gedanken und Notizen machen, was gut läuft und was weniger gut. Es empfiehlt sich, eine gewisse Zeit zu warten und nach spätestens sechs Monaten Veränderungen zu initiieren. Vorgesetzte sollten im Hintergrund als Unterstützung da sein, aber auch die Möglichkeiten schaffen, dass die Mitarbeitenden eigene Projekte realisieren und Wege gehen können.

Hatten Sie selbst ein Vorbild?

Mein Vorbild war eine Pflegefachfrau, der ich als Kind begegnet bin, als ich selbst in Spitalpflege war. Sie nahm mich ernst und zeigte mir, wie man Patienten auf Augenhöhe begegnet. Es ist wichtig für uns Pflegenden, dass wir ehrlich sind zu den Familien, die wir begleiten. So können wir ihnen viel mitgeben in den schwierigen Situationen.

Welche Voraussetzungen der Mitarbeitenden wünschen Sie sich zu diesem Thema?

Dass sie das gleiche Selbstverständnis zum Thema haben wie ich. Das Vertrauen und der respektvolle Umgang miteinander sollten ungeachtet der Hierarchiestufe und der Disziplin funktionieren. Ich wünsche mir von den Mitarbeitenden eine gewisse Offenheit und den Mut, zu sagen, wenn für sie etwas nicht stimmt oder auch mal gut läuft. So kommen wir miteinander in einen Dialog.

In welchen Situationen ist eine Führungsperson ganz besonders auf Vertrauen angewiesen?

Gerade in schwierigen Zeiten und in Krisen ist das Vertrauen entscheidend – es muss aber schon vorher bestanden haben. Vertrauen muss man sich erarbeiten und leben. Auch die Führungsperson braucht Rückenstärkung und ab und zu Bestätigung. Etwa wenn Entscheidungen umgesetzt werden müssen, von denen nicht alle überzeugt sind. Ein sorgsamer Umgang miteinander ist wichtig. Wenn man einen Vertrauensbonus verliert, ist es sehr schwierig, diesen wieder gutzumachen.

Kann man Vertrauen aufbauen lernen?

Durch Selbstreflexion und das Bewusstsein, was es braucht, um vertrauensvoll arbeiten zu können, kann Vertrauen entstehen. Inputs können helfen, aber eine vertrauensvolle Haltung muss gelebt werden. Ich kann als Führungsperson nicht etwas verlangen, was ich selbst nicht einhalte.

An vorderster Front

Franziska von Arx-Strässler ist Co-Leiterin Pflegedienst Intensivstationen, Neonatologie, Notfall und Kinder-Herzzentrum sowie Leiterin Pflegeinformatik im Universitäts-Kinderspital Zürich. Seit Herbst 2020 ist sie geschäftsführende Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin.