
Narrative Leadership
«Menschen erfinden sich früher oder später eine Geschichte, die sie für ihr Leben halten.» Das Zitat von Max Frisch ist heute aktueller denn je. Warum?
New Work boomt. Junge Generationen verlangen nach Kollaboration und Mitsprache. Teamgeist
schlägt Einzelleistung. Die Selbstorganisation von einzelnen Menschen und von Teams ersetzt klassische
Hierarchien.
Führung wird so zu einer Haltung und einer Kompetenz für alle. Zudem: Die Dynamik der
Veränderungen nimmt zu. Was bleibt, wenn sich alles ändert? Jobs, Teams, Organisationen? Kurz:
das Selbst, der Mensch in seiner Ambivalenz, im Zweifel, in seiner Vieldeutigkeit und Kreativität. Und: in seinen Geschichten.
Identitätsbildung, so lehrt uns der soziale Konstruktivismus, ist geprägt von Narrativen, Erzählungen, die wir für uns immer neu finden, fortschreiben im Kontinuum unseres Lebens. Selbstverständlich ist jeder Mensch mehr als seine erzählten und erlebten Geschichten. Aber: Sie prägen und helfen zur Orientierung und Identifikation. Die Hochs und Tiefs. Die Konflikte und Widrigkeiten. Die Wendepunkte. Sie erzählen von uns als Persönlichkeiten, von unseren Stärken und Ressourcen.
Wenn wir also Leadership als Haltung für alle relevant finden, so hilft es, uns zu sensibilisieren für
unser Werden («Becoming») und unsere Geschichten. Wie sind wir die geworden, die wir sind? Was
möchten wir sein? Was treibt uns an? Diese Lebensgeschichten im Plural – wir sind mehr als nur eine
Story – mögen uns verstehen helfen, wie wir Leadership leben wollen. Welche Reise wir allein oder
gemeinsam antreten.
So werden wir in Zukunft weniger über Führungsstile und die Art, wie wir führen, debattieren.
Sondern wir machen uns bewusst, welches unsere eigenen und gemeinsamen Motive, Werte,
Stärken und Ziele sind. Und damit, welches unsere eigenen und gemeinsamen Narrative sind. Die
Passungsfrage, der Fit von Person, Team und Organisation, wird entscheidend. Immer im Kontext der faktischen Leistungen, welche Werte zu schaffen wir anstreben. Denn starke Geschichten leben von Fakten und Emotionen.
Damit entwickeln wir unser Selbstverständnis als Leader und Menschen weiter, hinterfragen unsere Überzeugungen, entlarven Fiktionen, Täuschungen und eröffnen uns neue Möglichkeiten und Perspektiven. Vielleicht auch neue, produktive Mythen und Erfindungen.
Meine Antwort auf Max Frisch: «Wer sich und anderen den Weg weist, braucht eine Geschichte, für
die es sich zu leben lohnt.»