Sieben Schritte zur Kreislaufwirtschaft

21.03.2023
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Der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft besteht aus mehr als dem Wechsel zu einem Rohstofflieferanten, der bereits im Kreislauf arbeitet. Er bedingt den Umbau ganzer Geschäftsmodelle. Der Prozess geht so weit, dass Konkurrenten zu Kollaborateuren werden müssen. Wie man als Organisation diesen Ablauf mit neuen Projekten  angeht, hat die Uni St.Gallen in einem Whitepaper zusammengefasst.

Unser Problem beginnt mit einem Wort: «Verbraucher». In grossen Teilen der linearen Wirtschaft besteht die Wertschöpfung darin, Kunden Material zu verkaufen, das diese verbrauchen. 

Ganze Industrien sind darauf angewiesen, dass die Konsumenten ihre Produkte kaufen und möglichst bald wegwerfen – um das gleiche Produkt neu zu erwerben. Nebensache bleibt dabei der Nutzen, den die Produkte stiften: Er ist kaum mehr als ein Marketingaspekt.

«Mode», «Modellpflege» und Sollbruchstellen sind Teil einer «Wertschöpfungskette», die in Tat und Wahrheit eine «Umsatzsteigerungskette» ist. Denn der Profit aller beteiligten Unternehmen steigt linear mit dem Umsatz von Produkten und Materialien. Wachstum ist kein Ziel, sondern ein Imperativ – und dessen Erfüllung besteht im Verbrauch. 

Eine Kreislaufwirtschaft würde den Mehrwert an einer anderen Stelle in der Schöpfungskette generieren. Und genau deshalb ist der Wechsel zur Kreislaufwirtschaft so schwierig. Denn die Kette muss radikal umgebaut werden. Das setzt einen Paradigmenwechsel voraus, in dem Wertschöpfung nicht mehr in der Extraktion von Material und dem Verkauf von Produkten, sondern im Nutzen für die Abnehmer liegt. Das stellt die Zielsetzung vieler Geschäftsmodelle auf den Kopf.

Etwa, wenn aus dem Glühlampenhersteller Philips ein Lichtdienstleister wird. Denn wenn die Kundschaft Licht bezieht statt Lampen, wird Philips alles daransetzen, möglichst langlebige und wiederverwendbare Glühlampen einzusetzen: Weil es Kosten spart und den Profit steigert. Das ist der kritische Punkt: Nur aufgrund der Dimensionen «Menschen» und «Umwelt» wird kein Unternehmen im Besitz von Aktionären einen wie auch immer radikalen Wechsel vollziehen. Spielt allerdings die Dimension «Profit» im gleichen Masse eine Rolle, dann lassen sich Projekte angehen. 

Damit dies geschehen kann, haben Wissenschaftler der Uni St. Gallen im Rahmen des Kreislaufwirtschaft-Labors im Nationalen Forschungsprogramm 73 (NFP 73) in einem Weissbuch die Schritte zusammengefasst, mit denen ein Unternehmen diesen Paradigmenwechsel angehen und erfolgreich umsetzen kann.

1. Anschieben: Was geht uns das an?

Es gibt mehr gute Gründe, den Prozess zur Kreislaufwirtschaft anzustossen, als manch ein Unternehmer sich eingestehen will. Neben dem steigenden Umweltbewusstsein der Konsumenten führen die Autorinnen und Autoren eine wachsende Regulierung, die zunehmende Abhängigkeit von Rohstofflieferanten und Wettbewerbsvorteile auf – und zwar nicht zuletzt im War for Talent, in dem Purpose eine immer grössere Rolle spielt. 

2. Analysieren: Wo stehen wir jetzt?

Wenn demnach eine ausreichende Motivation für den Anstoss gegeben ist, gehts darum, die eigene Position zu verorten. Dazu ist ein Life Cycle Assessment der eigenen Produkte oder des Produkts unabdingbar. Dazu müsse als Erstes das eigene und alle anderen in der Wertschöpfungskette involvierten Geschäftsmodelle untersucht werden. Die Autoren schlagen vor, dazu die drei Nachhaltigkeitskreise Mensch, Umwelt und Profit über das Konzept der Triple Bottom Line zu legen. Das besteht aus der zentralen Frage nach dem Kundensegment (dem Wer?) und einem äusseren Dreieck aus den Fragen nach dem Was, der Value Proposition und dem Wie. In diesem Modell zeigt jede Anpassung an eine der Geschäftsmodell-Dimensionen sofort die Auswirkungen in mindestens zwei der Nachhaltigkeitsbereiche: auf Menschen und Planet und/oder Profit.    

3. Ideen entwickeln: Über gängige Lösungen hinausdenken

Im nächsten Schritt wird die Perspektive von den Geschäftsmodellen der involvierten Unternehmen in der Wertschöpfungskette ausgeweitet auf das Niveau des gesamten Ökosystems. Jetzt muss das Führungsunternehmen mit völlig neuen Value Propositions und Wertschöpfungsmechanismen entlang eines Kreislaufs aufwarten. Das ist ein hoch innovativer Prozess mit den typischen Hinderungen und Denksperren, die es zu überwinden gelte. «Im Laufe unserer Arbeit haben wir 38 Muster für zirkuläre Ökosysteme identifiziert, die als Blaupause für viele Industrien dienen können», schreibt das Autorenteam. Diese Muster lassen sich in vier Gruppen einteilen: Close the Loop, Improve the Loop, Monetize the Loop und Excite the Loop. 

4. Integrieren: Konsistente zirkuläre Ökosysteme entwickeln

Im nächsten Schritt geht es darum, ein solches zirkuläres Ökosystem zu entwerfen. Das ist notwendig, weil nur in dieser Perspektive die Abhängigkeiten in einem Kreislauf sichtbar würden. Das Whitepaper liefert eine Planungsanleitung mit dem Circular Canvas.  

5. Vorstellen: Eine Vision formulieren

Im fünften Schritt wird eine Vision entworfen, die das Kernziel des Umbaus des ganzen Ökosystems ausdrückt. Es dient auch dazu, in der eigenen Organisation eine Basis für die Kommunikation zu haben. Die Autoren führen als Beispiel für eine Vision Ray C. Anderson des Teppichplattenherstellers Interface an. Ab 1994 setzte er seine Mission Zero um, mit der sämtliche negativen Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt eliminiert werden sollten. Nachdem dies gelungen war, kam als neue Vision der Plan aufs Tapet, Teppichplatten herzustellen, die eine negative CO2-Bilanz aufweisen.    

6. Integrieren: Passende Partner finden

Im nächsten Schritt sucht das Unternehmen passende Partner für die Bereiche des Kreislaufs, die es nicht abdecken kann. Klar ist, dass das initiierende Unternehmen einen Lead übernimmt – aber interessanterweise steckt in der Entwicklung eines Kreislaufs auch eine Verzögerungskomponente, da die Produkte aus einer Wertschöpfungskette zuerst so «altern» müssen, dass der nächste Schritt im Kreislauf wirksam wird. Der Orchestrator kann so in einer bereits bestehenden Umgebung die passenden Partner finden und diesen Zeit zum Umbau geben. 

7. Implementieren: Einen Kreislauf in Gang setzen

Das ist logischerweise der schwierigste Teil des Prozesses. In iterativen Tests der einzelnen Kreislaufschritte und Geschäftsprozesse muss evaluiert werden, dass und wie sich der Kreis schliessen lässt. Prototyping und MVPs seien vielfach unabdingbar. Vor allem aber müssten beteiligte Unternehmen vielfach nicht nur einzelne Geschäftsmodelle, sondern die gesamte Kultur anpassen. 

Kreislauflabor im NFP 73 «Nachhaltige Wirtschaft»

Eine ganze Reihe von spannenden Publikationen zur Kreislaufwirtschaft und wie man sie aufbauen kann, hat das entsprechende Projekt im Nationalen Forschungsprogramm 73 hervorgebracht. Im Projekt «Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft» (TACLE) wurde ein Materialflussansatz mit einer Unternehmens- und einer Politikperspektive kombiniert. Das Hauptziel bestand darin, das verborgene Potenzial für ein besseres Ressourcenmanagement in der Schweiz zu bestimmen und den Weg zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu ebnen. https://nfp73.ch/de