Teilen – und damit gewinnen

04.06.2021
2/2021

Die Pandemie führt der Wirtschaft und der Gesellschaft mit aller Härte vor Augen: Die existenziellen Herausforderungen sind nur mit multinationalen Kooperationen und globalen Strategien zu meistern. Sind wir auf dem richtigen Weg, und welche Faktoren können begünstigend wirken?

     

Das Prinzip ist so einfach wie einleuchtend. Ein registrierter Nutzer der Webplattform «Sharely.ch» schreibt seinen einmal jährlich benutzten Hochdruckreiniger zur Vermietung aus. Andere Nutzer können das Gerät gegen eine kleine Gebühr für den Gebrauch reservieren und beim Vermieter abholen, statt sich ein eigenes zu kaufen. Resultat: Ein regelmässig benutzter Hochdruckreiniger, der seine Anschaffungskosten mehrfach amortisiert, statt 20 Hochdruckreiniger, die in verschiedenen Kellern mehrheitlich rumstehen und gleichwohl nicht vor Defekten gefeit sind.

     

Souverän ist nicht der, der viel hat, sondern der, der wenig verbraucht. 

Niko Paech, Uni Siegen

     

Über die ökonomischen Mehrwerte der Sharing-Wirtschaft kann man sich natürlich streiten. Für die Hersteller von Hochdruckreinigern sind Sharely.ch und ähnliche Plattformen sicherlich kein Segen. Für die Haushaltbudgets der Nutzer dagegen umso mehr. 

Ebenso hinsichtlich der Frage nach einer sinnvollen Nutzung von Ressourcen. Die «Teilwirtschaft» dient auch unbestritten der ökologischen Nachhaltigkeit. Der deutsche «Sharing-Economy-Papst» Niko Paech hat den folgenden Spruch geprägt: «Souverän ist nicht der, der viel hat, sondern der, der wenig verbraucht.»

Es erstaunt denn auch kaum, dass die seit Jahren aufstrebende Teilwirtschaft mit dem Ausbruch der Coronapandemie nochmals einen regelrechten Boost erfahren hat. Plattformen wie Sharely.ch gehören zu den Gewinnern der aktuellen Lage. Die positiven Seiten des Teilens beschränken sich indes bei Weitem nicht nur auf die Aspekte Sparsamkeit und Ressourcenschonung. Teilen kann man auch Wissen und Know-how, um damit Fortschritt und Innovation anzukurbeln. 

Auch hierfür liefert Corona das beste Beispiel. Eines gar mit historischem Ausmass. Wie eine länder- und unternehmensübergreifende Kooperation der Pharmaindustrie die Entwicklung von mehreren tauglichen Impfstoffen gegen COVID-19 in der Rekordzeit von weniger als einem Jahr ermöglicht hat, hätten selbst die kühnsten Optimisten aus der Branche nicht für möglich gehalten. Die Entwicklung von wirksamen Impfstoffen nahm in der Vergangenheit stets mehrere Jahre in Anspruch. Das Prinzip einer «gemeinsamen Spirit-Phase», in der Wissen unternehmensübergreifend geteilt und zur Erarbeitung ganz neuer Lösungsansätze kumuliert wird, ist etwa aus dem Silicon Valley bekannt, dem globalen Innovationsweltmeister. «Es gibt keine Innovation ohne Kooperation», sagt Karin Frick, Forschungsleiterin am Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) und Sharing-Economy-Spezialistin. 

Gleichwohl ist für sie die Geburtsstätte von Google, Apple, Facebook und Co. kein optimales Vorbild für ein funktionierendes Ökosystem der Zukunft. Denn ein solches brauche Vielfalt und die Garantie, dass im Verbund aller Akteure, von Produzenten über Händler bis Kunde, alle gleichermassen profitieren. Im Silicon Valley gewinne in der Regel am Ende immer nur einer, was einer nachhaltigen Zukunft nicht nur dienlich sei. «Visionäre wie zum Beispiel Elon Musk können Entwicklungen zwar anstossen, aber ohne Kooperation mit den Ingenieuren aus der ganzen Welt bleiben Ferien auf dem Mars eine Illusion», schildert sie als Beispiel.

     

Visionäre wie Elon Musk können eine Entwicklung anstossen – aber ohne weltweite Kooperation bleiben Ferien auf dem Mars eine Illusion.

Karin Frick, GDI

     

Die Pandemie habe an diesem Zwang zur Kooperation nichts verändert, allenfalls bei den «Late Adopters» jedoch endlich das Bewusstsein geweckt, dass man in einer hypervernetzten Welt mit Silolösungen nicht weiterkommt. Frick nennt etwa das Beispiel Homeoffice. Das Konzept sei seit Jahrzehnten bekannt, technisch machbar und werde jetzt aufgrund der Pandemie auch von den meisten Unternehmen akzeptiert und umgesetzt.

Auch in der Schweiz gibt es etliche Erfolgsbeispiele von Teilwirtschaft. Allen voran das Carsharing-System von Mobility, das sich seit Jahren auf dem Vormarsch befindet und laut CEO Roland Lötscher in dieser Zeit der Krise auf noch mehr Resonanz stosse. «Vor allem auch Firmen setzen immer stärker auf unsere Angebote, mittlerweile sind es schon über 5000 in der Schweiz.» Kalkulationen haben ergeben, dass ein Mobility-Auto elf Privatautos ersetzt und dem durchschnittlichen Nutzer jährliche Einsparungen von 4000 Franken gegenüber dem Besitz eines eigenen Fahrzeugs bringt. Da 95 Prozent der Mobility-Kunden den öffentlichen Verkehr nutzen, arbeitet das Unternehmen auch strategisch mit den SBB zusammen und stellt über 1000 Fahrzeuge an Schweizer Bahnhöfen zur Verfügung.

     

Dem Ziel der Nachhaltigkeit und Schonung der Umwelt dient als zweites Beispiel auch das «Netzwerk Schweizer Pärke», dem gegenwärtig 19 Pärke angehören. Ziel ist es laut der Geschäftsführerin Dominique Weissen, in den nächsten Jahren einen neuen Nationalpark initiieren zu können, die bestehenden Pärke zu etablieren sowie zwei bis drei weitere neue zu gründen. 

Mehr als 12 Prozent der Schweizer Fläche sind heute Park. Die Pärke gelten laut Weissen als «Modellregionen». Das heisst, sie sollen zu einem generellen Umdenken beitragen. «Innovative Kleinunternehmer finden in Pärken oft einen fruchtbaren Boden für nachhaltige Projekte», so die Geschäftsführerin. Auf nationaler Ebene könne das Netzwerk immer wieder interessante Firmenkooperationen eingehen. Für die Unternehmen sei es interessant, mit den Pärken Partner zu haben, die sich über alle Schweizer Landesteile erstrecken und Ziele verfolgen, die zukunftsträchtig und sinnvoll seien. 

     

Bereits über 5000 Firmen nutzen unsere Angebote.

Roland Lötscher, CEO Mobility

     

Die Pandemie betrachtet Dominique Weissen auch als Chance für ein generelles Umdenken. Corona habe die Menschheit gelehrt, dass Katastrophen tatsächlich eintreffen. «Mit der Klimaerwärmung und dem Biodiversitätsverlust drohen die nächsten globalen Krisen.» Dies dämmere allmählich auch Wirtschaftskreisen. «Um ein effektives Umdenken tatsächlich zu erreichen, brauche es aber weiterhin klare Signale aus der Wissenschaft und eine starke Politik, um das Ruder herumzureissen.»

     

Der dringend geforderte Richtungswechsel stürzt die meisten Unternehmen, vom multinationalen Konzern bis zum KMU, aber auch in ein veritables Dilemma. Laut einer aktuellen Studie der internationalen Unternehmensberatung Deloitte sehen globale Betriebe durchaus ein, dass sie sich neu erfinden müssen. Gleichzeitig können sie es sich aber nicht leisten, erfolgreiche Geschäftsfelder aufzugeben. Das Erarbeiten von Innovationen in Netzwerkökonomien könnte tatsächlich der Ausweg aus diesem Dilemma sein. Laut Deloitte entstehen bereits heute 75 Prozent aller disruptiven Produkte und Lösungen über den Zugriff auf externe Innovation. Bezeichnend für das Wesen solcher «Ecosystems» ist, dass sich grosse und kleine Unternehmen zur Entwicklung solcher Lösungen auf Augenhöhe begegnen. Laut Deloitte wird in den G-20-Staaten durch die Kooperation von Grossunternehmen und Start-ups ein BIP von 1,5 Milliarden Dollar erwirtschaftet.

Wie Netzwerkökonomien auch innerhalb der Schweiz gut funktionieren können, zeigt ein aktuelles Beispiel aus der Tourismusbranche. Verschiedene Ferienregionen und touristische Leistungsträger haben sich zusammengeschlossen und die gemeinsame Plattform Discover.swiss gebaut. Das Herzstück ist ein Buchungs- und Zahlungssystem für alle beteiligten Partner. Für die Nutzer, also die Feriengäste, bleibt es unsichtbar im Hintergrund. Die Plattform ermöglicht und fördert die digitale Vernetzung der verschiedenen Leistungserbringer. «Durch standardisierte Schnittstellen können diverse Tools angebunden werden, was den Austausch von Content und Angeboten untereinander ermöglicht und fördert», erklärt Janine Bunte, Geschäftsführerin der Schweizer Jugendherbergen und Teil des Projektkernteams von Discover.swiss. 

     

Dank gemeinsamer Entwicklung kann jeder einzelne Anbieter die Kosten senken und letztlich die Marge erhöhen.

Janine Bunte, Discover.swiss

     

Die Plattform bietet die Möglichkeit, dass touristische Anbieter gemeinsam die digitale Entwicklung vorantreiben können und damit unabhängiger werden von Drittanbietern. Denn heute fliesst ein erheblicher Anteil des Umsatzes aus der Tourismusbranche an Anbieter von digitalen Tools oder an globale digitale Buchungsplattformen. «Dank der gemeinsamen Entwicklung von digitalen Services für Discover.swiss kann jeder einzelne Anbieter die eigenen Kosten senken und damit letztlich die Marge erhöhen», so Bunte. Gleichzeitig schaffen es die Anbieter gemeinsam, das digitale Erlebnis für den Gast nachhaltig zu verbessern. Ein klassisches Beispiel von Netzwerkökonomie, wie es sich auch problemlos auf andere Branchen anwenden lässt.

     

Daten, die nicht verknüpft sind, sind weniger wert.

Karin Frick, GDI

     

Im Zeitalter der Digitalisierung werden es künftig genau solche virtuellen Netzwerke sein, welche die traditionellen Grenzen zwischen Unternehmen, Organisationen und ganzen Gesellschaften sprengen und übergreifende Kooperationen ermöglichen. Davon ist auch Karin Frick vom GDI überzeugt. «Jedes Business wird immer mehr zum Datenbusiness. Und Daten, die nicht verbunden sind, sind weniger wert», so ihre Überzeugung. Denn ohne einen organisationsübergreifenden Datenaustausch könne ein Unternehmen sein Angebot nicht wirklich personalisieren und daher keine Dienstleistungen in Echtzeit erbringen. Sie schildert ein passendes Beispiel: «Es genügt nicht, wenn ein Hotel ein gutes Buchungssystem hat, die effektiven Angebote aber nicht oder nur mit riesigem Aufwand international auffindbar und vergleichbar sind.» In zu vielen Branchen seien die Daten heute noch über verschiedene Systeme verteilt. «Alle wissen etwas über uns, aber sie wissen nicht, was die anderen wissen», so Frick.

     

Daher könnten isolierte Akteure nicht von Netzwerkeffekten profitieren und deshalb nicht schnell genug lernen. «Das gilt für alle Branchen, von der Landwirtschaft über Möbelhersteller bis zum Gesundheitswesen. Wenn dieser ‹Mindshift› nicht bei den bisherigen Akteuren einer Branche geschieht, wird er durch einen neuen, branchenfremden Akteur eingeführt und durchgesetzt.» Beispiele hierfür seien die Disruption der Medienbranche durch Google, der Musikbranche durch iTunes, der Hotelbranche durch Airbnb. Kooperation brauche aber auch Vertrauen – und dafür sei entscheidend, wie der Datenreichtum zwischen den Akteuren geteilt werde. «Hier stehen vor allem die ganz grossen Player in der Verantwortung. Sie entscheiden wesentlich mit, ob der Wandel gelingt.»