Was soll denn «konfliktfähig» heissen?

19.06.2022
2/2022

Um teamfähig zu sein, soll man also «bereit zum Konflikt» sein, ja «konfliktfähig» werden, weil zu viel Harmonie dem Team schade. So lehrt das die «Team-Performance-Pyramide» von Spezialisten, die mit schönen Theorien, Fremdwörtern und provokanten Thesen ihr Geld verdienen. Das klingt so, als würden sie behaupten, Konfliktgeile seien bessere «Team-Performer».

Ich habe allein schon mit dem Wort «konfliktfähig» Mühe, weil sich konstruktive Fähigkeit nicht auf einen Konflikt beziehen kann, sondern auf eine Lösung. Oder bedeutet diese Qualität bloss die Bereitschaft, einen Konflikt beim Namen zu nennen, anstatt Harmonie vorzutäuschen, was wir notabene in der Schweiz oft allzu gerne tun? Deutsche hingegen sagen direkter – für uns zumeist viel zu direkt –, was Sache ist. Damit ist der Konflikt aber noch nicht gelöst, sondern nur mal auf dem Tisch.

Einen Konflikt lösen kann man nur über eine Verständigung. Mit anderen Worten, die Konfliktparteien müssen sich einigen. Die Verständigung ist die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens. Permanent verständigen wir uns in unserem Privatleben, beim Einkaufen mit einem Kaufvertrag, im Berufsleben mit dem Arbeitsvertrag oder in der Politik über demokratische Verfahren, auf die wir uns geeinigt haben. Jede Vereinbarung, jeder Vertrag, jedes einvernehmliche Handeln beruht auf einer Verständigung.

Generell müssen dafür drei Bedingungen erfüllt werden. Die Beteiligten müssen miteinander sprechen, ohne Kommunikation kann man sich ja nicht verständigen. Sie müssen sich mit einem Mindestmass an Vertrauen respektieren und müssen sich frei entscheiden können. Ein Vertrag, der unter Zwang zustande kommt, ist bekanntlich ungültig. Das war schon so im römischen Recht.

Aber tun wir nicht so, als liessen sich alle Konflikte dieser Welt lösen, als könne man sich immer über alles verständigen. Wir leben auch im privaten Umfeld mit Konflikten, die wir nicht lösen. «Streitfähige» Menschen können ihren Streit pflegen, verlängern und sich damit – wie weiland Michael Kohlhaas – Genugtuung verschaffen, sich einzureden, im Recht zu sein. Wie das endet, zeigt Kleist in seiner Novelle. Man kann aber auch einfach nachgeben oder verzeihen, das ist dann auch eine Form der Verständigung. Man kann aber Konflikte auch einfach stehen lassen oder vergessen, um im Frieden zu leben.

Das ist nicht anders in grossen Konflikten dieser Welt. Manchmal gelingt die Verständigung in einem aktuellen Streit, mit einem Waffenstillstand zum Beispiel. Schwieriger ist die Verarbeitung vergangener Konflikte, die von den Opfern lange nicht überwunden worden sind. Um solche Konflikte nach und nach zu verarbeiten, gibt es nur zwei Wege: sich erinnern und vergessen. Auch der zweite Weg ist wichtig und wird als bewusstes Mittel in seiner Bedeutung oft verkannt. Im Westfälischen Frieden am Ende des Dreissigjährigen Krieges einigte man sich auf die Formel, dass absolut jedes sich gegenseitig zugefügte Übel in «immerwährendem Vergessen begraben sein soll» – «perpetua sit oblivione sepultum».

Tim Guldimann
Rentner und Podcaster, ehem. Diplomat und Nationalrat