Zu jung, um Chef zu sein?

26.09.2023
3/2023

Mit 21 Jahren 50 Unterstellte und mit 30 Jahren bis zu 150 Personen führen: Führungskräfte in der Armee sind bisweilen deutlich jünger als ihre Unterstellten. Daraus ergeben sich spezifische Anforderungen. Und wertvolle Erfahrungen.

Michelle Steinemann
Mechanisierte Brigade 4
Fachoffizier Kommunikation

Welches Bild kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an militärische Führungspersonen denken? Wohl kaum das von Lisa Bärtschi. Die 23-jährige Zugführerin hat eine leise Stimme, wirkt überlegt – und nichts scheint sie aus der Ruhe zu bringen. Vor zwei Jahren hat sie ihren Grad als Leutnant abverdient und dafür 18 Wochen lang 50 Rekruten geführt. Die Hälfte davon war älter als sie. 

«Wenn die Leute mich kennen, funktioniert es gut»

Während ihrer militärischen Laufbahn hat sie gelernt, selbstbewusst vor die Soldaten zu treten, für ihre Meinung einzustehen und sich trotz leiser Stimme Gehör zu verschaffen. Sie werde als Chefin gut akzeptiert, meint sie, selbst bei Rekruten, die eher unmotiviert einfach das Militär hinter sich bringen wollten. Das Militär hat sie gelehrt, sich durch einen kooperativen Führungsstil eine natürliche Autorität aufzubauen und so bei den Soldaten eine hohe Disziplin und Motivation hervorzubringen.

Aber auch analytische Fähigkeiten fördert die Ausbildung. «Ich kenne nun Vorgehensweisen, wie ich auch unter Zeitdruck Aufgaben effizient in Teilprobleme zerlege, Prioritäten setze und einen Plan entwickle.» Zivil ist Bärtschi Kauffrau und beginnt bald die Ausbildung zur Pflegefachfrau. Sie betont, dass für sie Offenheit und Ehrlichkeit wichtige Werte sind, um Vertrauen aufzubauen. Ausserdem habe sie gelernt, dass es wichtig ist, die Bedürfnisse ihrer Unterstellten zu verstehen und deren Kompetenzen richtig einzusetzen. 

Sie sei in Uniform keine andere Person als sonst: «Ich habe meine Werte für mich definiert, und nach denen handle ich.» Ihr langfristiges Ziel ist es, in der Rettung tätig zu sein und sich auch dort als Führungsperson hochzuarbeiten.

Sinnstiften wird noch wichtiger

«Die Führungserfahrung, die man in jungen Jahren in der Armee macht, ist im Zivilen nur schwierig im gleichen Mass zu erlernen»: Hauptmann Martin Kreienbühl, Kommandant einer Übermittlungskompanie und Bereichsleiter einer Projektabteilung eines Elektroinstallateurs, hebt hervor, dass die militärische Führungsausbildung ihm wichtige Lektionen für seine berufliche Karriere vermittelt hat. Er spricht von der Fähigkeit, unter Druck durchzuhalten, mit schwierigen Situationen umzugehen und mit der Ressource «Zeit» bedacht umzugehen.

Er führt militärisch wie zivil nach denselben Prinzipien, hebt aber einen Unterschied hervor: «Die Motivation von zivilen Mitarbeitenden ist gross, da im schlimmsten Fall Konsequenzen drohen. Im Gegensatz dazu loten Soldaten ihre Grenzen aus, weil sie unfreiwillig im Dienst sind.» Kreienbühl hat seine Lehre daraus gezogen: «Ich würde sagen, dass man in der Armee noch viel eher lernt durch Sinnvermittlung zu führen, gerade weil die militärischen Tätigkeiten wie das Wachestehen nicht auf den ersten Blick als sinnvoll erscheinen und ich als Kader dafür sorgen muss, dass die Aufgaben dennoch diszipliniert ausgeführt werden.» Nach über zehn Jahren Diensttätigkeit kommt er zum Schluss, dass all diese Lehren der militärischen Führungserfahrungen mit rein ziviler Ausbildung schwierig zu erlangen gewesen wären. 

Wiederholungen als Chance

Professionelle, jahrelang aufbauende Ausbildung: Die jungen Armeekader werden während ihrer Laufbahn eng begleitet. In aufbauenden Führungslehrgängen erhalten sie das theoretische Wissen, das sie im anschliessenden Dienst praktisch anwenden können. Dienstältere und Berufsmilitärs coachen sie dabei über Jahre hinweg. Kreienbühl sieht diese Dienste im jährlichen Turnus als Vorteil: «Mit jedem Wiederholungskurs habe ich die Möglichkeit, nach einem Jahr Pause mit neuen Erfahrungen und neuem Elan von null an die Sache heranzugehen. Das führt zu einer steilen Lernkurve. Solche Resets als Lernschlaufen sind bei der täglichen Arbeit schwieriger umzusetzen.» Die Möglichkeit, früh Verantwortung zu übernehmen und mit echten Herausforderungen konfrontiert zu werden, ermögliche es jungen Kadern, ihre Führungsqualitäten zu entwickeln.